Wie haben Schriftsteller den Mauerfall vor 25 Jahren erlebt? Wo waren sie zu diesem Zeitpunkt? Was fühlten sie angesichts dieses historischen Ereignisses? In 25 Berichten erinnern sich 25 Autoren an den 9. November 1989. Renatus Deckert hat diese Geschichten gesammelt und vor sechs Jahren anlässlich des 20. Jahrestags veröffentlicht. Am 2. April 2015 erzählte er Schülerinnen und Schülern aus den Jahrgängen 11 und 12 von seinen Erinnerungen an die DDR und las aus seiner Sammlung. Er wurde 1977 als Sohn eines Pfarrers in Dresden geboren und lebt heute in Lüneburg. Obwohl er erst zwölf Jahre alt war, als die Mauer fiel, und erst am nächsten Tag in der Schule von der Grenzöffnung hörte, erinnert er sich an seine erste Fahrt nach West-Berlin kurz danach und an die vollen Straßen, in denen Volksfeststimmung herrschte. Einige Monate später war er das erste Mal in Köln bei seinem Onkel, einem Republikflüchtling. Dort aß er seine erste Pizza. Die Schule veränderte sich nach dem Mauerfall. Das Fach Staatsbürgerkunde verschwand vom Stundenplan – und mit ihm die Lehrerin. In Geschichte fing man einfach bei Spartakus an, um „kontaminierte“ (R. Deckert) zu vermeiden.
Schließlich las Renatus Deckert aus Durs Grünbeins „Der Weg nach Bornholm“. Grünbein erzählt darin nicht aus der Ich-Perspektive, sondern in der dritten Person, um die Unfreiheit, die Fremdbestimmung zu verdeutlichen. In vielen Geschichten ist die Sprachlosigkeit, die Fassungslosigkeit nach dem Mauerfall zu spüren. Denn noch kurz zuvor war es für alle unvorstellbar gewesen, dass die Mauer jemals durchlässig sein würde.